Zwischen Automatisierung, Augenmaß und Realität: Ein Gespräch mit Lion Schröder

Zwischen Automatisierung, Augenmaß und Realität: Ein Gespräch mit Lion Schröder

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Power Platform Consultant Lion Schröder spricht über KI, Low Code, Governance - und warum digitale Lösungen mehr brauchen als nur gute Tools

Die Microsoft Power Platform bringt Geschwindigkeit in die digitale Entwicklung und stellt Unternehmen zugleich vor strukturelle Herausforderungen. Zwischen Freiraum und Verantwortung, zwischen Fachabteilung und IT entstehen Lösungen, die schnell produktiv werden. Doch nicht immer passt die Governance zum Tempo. Und nicht jede KI-Funktion liefert, was sie verspricht. 

Für die IPI berät Lion Schröder Unternehmen bei der Einführung und Weiterentwicklung der Power Platform. Im Interview spricht er über die technische Realität hinter großen Versprechen, über Praxistauglichkeit, Rollenverteilung – und darüber, was passieren muss, damit aus einem Tool eine tragfähige Lösung wird. 

Foto von Lion

Wie bist du eigentlich zur Microsoft Power Platform gekommen – war das Liebe auf den ersten Klick oder eher Zufall mit Folgen?

Ich war damals in der Ausbildung zum Anwendungsentwickler und habe mir am Ende der Ausbildung gedacht: “Hmm, irgendwie ist das nicht so richtig was für dich.” Die Ausbildung war trotzdem super wertvoll, weil sie mir ein stabiles Fundament gegeben hat, um die technischen Grundlagen und Zusammenhänge zu verstehen. Bei der Jobsuche bin ich dann tatsächlich zufällig auf das Thema Low-Code mit der Power Platform gestoßen. Ich habe dann Power Automate und Power Apps lernen dürfen – und es war um mich geschehen! Es war dann wirklich Liebe auf den ersten Klick, und seit vielen Jahren macht es einfach Spaß. 

Künstliche Intelligenz ist gerade in aller Munde. Wie setzt du KI in deinen Power-Platform-Projekten ein – und müssen wir uns Sorgen machen, dass deine Power Apps bald anfangen, selbstständig zu denken?

Ich nutze eigentlich die typischen Dinge, wenn man an KI denkt: ChatGPT und vor allem Copilot. Das sind so meine kleinen Helfer, die ich täglich nutze. Besonders hilfreich sind die beiden, wenn man bei der Erstellung einer Lösung mal die Syntax eines Ausdrucks gerade nicht auf dem Schirm hat. Teilweise merke ich allerdings auch, dass sie halluzinieren, weil es diesen einen Ausdruck, den sie mir vorschlagen, gar nicht in Power Automate gibt. Halluzination ist bei KI leider noch ein Thema, von daher denke ich auch nicht, dass Power Apps zu 100% selbst denken können, eher nur zu 60%. Und da braucht es dann jemanden, der der KI hilft. Der Human in the Loop wird meiner Meinung nach auch in der Zukunft eine ganz wichtige Rolle spielen.  

Wie stellt man sicher, dass die Einführung der Power Platform im Unternehmen nicht im Chaos endet – hast du einen Tipp, damit nicht alle einfach wild drauflos basteln?

Von Anfang an auf eine saubere Struktur und Governance setzen. Mehrere Umgebungen sind absolut Pflicht bei dem Thema. In der Development-Umgebung kann man viel rumprobieren, ohne dass irgendwas live geht und sofort Auswirkungen hat. Dann wird getestet, und erst am Ende, wenn alles passt, geht es in die produktive Umgebung. Das Staging-Prinzip spart dann viele Nerven. 

Was viele auch nicht wissen: Microsoft bietet einen kostenlosen Developer Tenant an. Der ist komplett unabhängig vom Unternehmen und man selbst ist dort globaler Admin. Da kann man sehr viel mehr testen, weil man keine Einschränkungen bei den Rechten hat. Man muss aber wissen: Den kann nicht mehr jeder einfach so beantragen – es gibt bestimmte Voraussetzungen, und man sollte vorher prüfen, ob man überhaupt dafür berechtigt ist. Wenn man dann eine Lösung fertig gebaut hat, kann man diese einfach exportieren und in die unternehmenseigene Umgebung packen. Ein paar Sachen wie zum Beispiel Datenquellen müssen dann noch in der Dev-Umgebung der Organisation angepasst werden.  

Man braucht allerdings auch klare Spielregeln: Wer darf was? Wer ist für was verantwortlich?  Wie läuft der Support, wenn plötzlich alle mit einer App arbeiten? Das sind die ersten Themen, die wir mit dem Kunden im Rahmen einer Governance-Erstellung klären.  

Dokumentationen sind auch ein wichtiges Thema. Wie ist die App aufgebaut, wie funktioniert sie? Wer ist der Ansprechpartner? Die Dokumentationen sollten dann logischerweise für alle verfügbar gemacht werden. 

Was ich in Beratungsterminen immer als Erstes frage ist: Gibt es einen Service User? Man sollte nicht mit persönlichen Accounts arbeiten. Dann muss man sich auch weniger Gedanken machen, was mit einer Lösung passiert, wenn jemand mal das Unternehmen verlässt oder im Urlaub ist. Gegebenenfalls benötigt man dann einen Service User pro Fachabteilung. 
Und ganz wichtig: Die IT sollte als unterstützender Faktor auftreten und die Anwender*innen in den Fachabteilungen zusammenhalten. Wenn das Zusammenspiel zwischen IT und Fachbereichen funktioniert, kann eigentlich fast nichts schief gehen. 
 

Generative KI hält ja jetzt auch in der Power Platform Einzug – man hört zum Beispiel von Copilot in Power Apps oder der Anbindung von Azure OpenAI Services. Ist das für dich ein echter Game Changer oder am Ende doch nur Spielerei? Und wie beeinflussen solche KI-Features deine Arbeit als Power Platform Consultant (falls überhaupt)?

Es gibt mittlerweile die Möglichkeit, sich über Copilot bspw. eine App erstellen zu lassen. Du gibst einfach ein, was die App machen soll bzw. wozu sie dient und Copilot bastelt dir dann was zusammen. Ich habe das Ganze natürlich ausprobiert und das Ergebnis hat mich nicht überrascht – aktuell ist es noch sehr enttäuschend, hat aber Potenzial. Nichtsdestotrotz braucht es immer noch einen Menschen, der alles prüft und ggf. verbessert oder korrigiert. Ohne wird es auch in Zukunft nicht gehen.  

In Entwicklerkreisen hört man ja manchmal den Spruch „Low Code, Low Value“ – nach dem Motto: Was ohne klassischen Code entsteht, kann ja nichts taugen. Wie gehst du mit so einer Einstellung um und was entgegnest du den Low-Code-Skeptikern?

Low Code heißt nicht automatisch No Skill. 
Nur weil ich weniger Code schreibe, heißt das noch lange nicht, dass ich weniger nachdenken muss. Es geht immer noch darum, eine saubere Logik aufzubauen, Struktur zu beachten, Berechtigungen richtig zu setzen und ein gutes Design umzusetzen.  
Außerdem sehe ich Low Code Lösungen eher als Ergänzung zur klassischen Entwicklung. Wenn ich bspw. mit der Power Platform einen Prozess in wenigen Tagen abbilden kann, wo reines Entwickeln wahrscheinlich eine Projektlaufzeit von einem halben Jahr hat, dann ist das Business Value pur. Wenn es denn mal komplexer wird, kann immer noch auf klassische Entwicklung zurückgegriffen werden – denn auch die Power Platform hat aktuell noch ihre Grenzen. Am Ende zählt doch einfach nur: Bringt’s Mehrwert oder nicht? 

Bei der IPI wägen wir die Umsetzungsmethode, Power Platform oder Individualentwicklung, im Kollegenkreis immer ab. Der für den Anwendungsfall bessere Lösungsweg wird es dann. Da gibt es keine Konkurrenz.  

Hand aufs Herz: Siehst du die Gefahr, dass KI-Tools wie Copilot und ChatGPT euch Beratern eines Tages den Job streitig machen? Was können Menschen in deinem Job deiner Meinung nach, was KI (noch) nicht draufhat?

KI macht aktuell noch viele Fehler und es benötigt einfach jemanden, der das Ganze steuert und kontrolliert. Ich merke das gefühlt jeden Tag selbst, dass nicht alles, was die KI mir erzählt, zu 100% stimmt. Das kann ich als Experte gut beurteilen, bei unseren Kunden wird das oft schon schwieriger. Ich sehe die KI nicht als Bedrohung, sondern als Unterstützung. KI ist ein starkes Werkzeug, aber ohne jemanden, der mitdenkt, wird aus der Idee keine gute Lösung. Und da kommen wir Berater ins Spiel: Wir können mit den Menschen reden, ihre echten Probleme verstehen und aus einer vagen Idee eine machbare Lösung bauen.   

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